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Wilhelm Busch

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Sonntag, 10. Januar 2016

Grünkohlwandern eine Feldstudie

Seit ungefähr 36 Jahren verweile ich nun schon auf der Welt und wohne in Norddeutschland. Doch ich habe bisher noch nie an dem Brauch der Grünkohlwanderung teilgenommen. Was den Einen zum Kopfschütteln bringt wird den Anderen zur Aussage bewegen, der lügt doch. Aber es entspricht der Wahrheit. Ich habe mich aus freien Stücken gegen dieses Ritual entschieden und war glücklich mit der Situation.
Wer alles zum Brauch Grünkohlwandern wissen möchte Klick
Grünkohlwandern war für mich immer der Inbegriff der Spießbürgerlichkeit, bei dem sich der deutsche Mittelstand tierisch einen hinter die Binde kippt, ein paar Meter läuft um im Anschluss zerkochten Kohl mit Fett zu sich zu nehmen. Alles Dinge, die der gesunde Menschenverstand nicht tun würde, aber im Rahmen der Brauchtumspflege ist das alles ok. Insbesondere das Entgleisen der gesellschaftlichen Werte und Normen durch zu viel Schnaps ist auch total ok, es geht ja um Brauchtumspflege und Tradition.
Hat man so ein Ereignis gemeistert, geht es wieder zurück zum kleinbürgerlichen Leben und es wird über den Nachbar gelästert weil der Hausflur nicht gewischt wurde. Das man auf Grünkohlwanderung letztes Wochenende einem Unbekannten in den Vorgarten gekotzt hat spielt keine Rolle mehr, es handelt sich ja um Brauchtumspflege.
Versteht mich nicht falsch, derartige Entgleisungen machen Spaß, sehr viel sogar. Aber sich hinter so einem Brauch zu verstecken um seine eigenen Verfehlungen zu rechtfertigen ist irgendwie komisch. Das hat mich immer von so einer Veranstaltung abgehalten. Ich kotze immer ohne Rechtfertigung in andere Gärten ;-)

Ich weiß nicht ob sich die Demenz langsam einschleicht, aber letztes Wochenende ist es passiert, ich habe an einem solchen Event teilgenommen. Wie das geschehen konnte ist mir schleierhaft, doch ich habe es aus freien Stücken getan. Vielleicht doch die Demenz.  Aber ich habe die Zeit genutzt um eine Feldstudie dieses Brauches durchzuführen.

Alles fängt mit der Rudelbildung an, es versammeln sich total unterschiedliche Menschen an einem fixen Treffpunkt. Dabei wird der zeitliche Aspekt sehr flexibel gehandhabt. Das soll bedeuten, die Hälfte kommt zu spät oder erscheint nicht am Treffpunkt.

Hat sich der harte Kern zusammengerottet beginnt der gesellschaftliche Aspekt. Begrüßungen und das Austauschen von Belanglosigkeiten. Dabei ist Vorsicht geboten, das Fettnäpfchen lauert überall. Als ein Mitwanderer seinen Deuter Rucksack aus dem Auto hiefte, begrüßte Vic ihn mit den Worten „Hey du hast ja auch einen Frauenrucksack“. Daraufhin gab es komische Blicke. Nur als Hintergrundinfo, die Firma Deuter kennzeichnet seine speziell auf die weibliche Anatomie angepassten Rucksäcke mit einer Blume am Rucksack. Und dieser Rucksack besaß eben diese Blume, aber D. nahm es Vic nicht übel und war dankbar für die Info.


Und nun beginnt eine zweite soziale Komponente, man beginnt Individuen des Rudels in Schubladen zu stecken. Unser Rudel umfasste ca. 25 Personen. Und schnell stellt man fest, es gibt von „Hey du bist mir total sympathisch“ bis zu „Alter, du überlebst die Wanderung mit mir nicht, weil ich dir hinter der nächsten Buche den Hals aufschlitze“ alles.

Danach setzt sich das Rudel in Bewegung um eine Futterschmiede anzusteuern und dort Kohl sowie fettiges Fleisch zu konsumieren. Unterwegs stärkt man sich mit allerhand geistigen Getränken und flucht über die Wegebeschaffenheit im Wald. Wildlederschuhe sind halt ungeeignetes Schuhwerk bei matschigen Waldwegen. Bisher verläuft alles gut.

Aber beim Wandern direkt gibt es bei so einem Rudel Probleme. Ich bestimme gern mein eigenes Tempo sowie lege ich die Pausen so wie ich sie brauche. Das funktioniert leider im Rudel weniger. Ständig steht man obwohl man laufen möchte oder alle rennen wech, obwohl man doch den Sonnenuntergang bewundern möchte. Das ist einfach nicht meins. Ich gehe doch raus um mein Ding zu machen bzw. meine kleine Freiheit zu genießen ohne Rücksicht auf „Andere“.  Und dann ist da noch die Aussicht.



Ich kann keine zwei Meter in den Wald schauen ohne Menschen um mich herum. Genau aus diesem Grund gehe ich in den Wald, es gibt keinen oder nur wenig Menschen. Ich stehe mehr auf diesen Blick.



Ein weiterer Aspekt des Rudels ist, es ist gar keins. Mit dem Wort Rudel verbindet man einen Verbund, ähnlich wie Wölfe. Sie jagen gemeinsam, haben eine Hierarchie und passen aufeinander auf. Beim Grünkohlrudel kann man als Einzelner schnell verloren gehen. Als Vic und eine Freundin im Wald einmal austreten mussten, blieb ich im angemessenen Abstand stehen um auf die Nachzügler zu warten, das Rudel ging weiter ohne unseren Verlust zu bemerken. Beim kleinen Wandereinmaleins hat das Rudel versagt, setzten, sechs.

Und dann erreicht man sein Ziel, meistens eine urige Kneipe so wie bei uns. Dort wird in rauen Mengen Grünkohl, wie soll es auch anders sein, und jede Menge Wurst aufgetischt. Dabei konsumiert man weiterhin geistliche Getränke.

Und da kommen wir zu einem weiterem Aspekt, meide als Vegetarier solche Veranstaltungen. Vic hat als Vegetarier sehr viele Erfahrungen mit dem Entgleisen von gutbürgerlicher Küche. Aber auf dieser Tour war das der Hammer, die Gemüseplatte entpuppte sich als ein Topf voll von Erbsen und Möhren. Nach 14 Km die man ja nur mit Aussicht auf ein leckeres Essen zurücklegt, kann das der Moral einem herben Rückschlag geben. Ich habe für Vic schon leckerer im Wald gekocht. Klick

Mein Fazit:
Ich habe in 36 Jahren Abstinenz von Grünkohlwanderungen in meinen Augen nichts verpasst. Es gab durchaus angenehme Situationen und es machte mir Spaß. Doch ich wandere lieber mit Vic alleine ohne Rudel und Brauchtumspflege. Falls jemand aus dem Rudel mitliest, nicht alles auf die Goldwaage legen und diesen kleinen Erfahrungsbericht mit einem Schmunzeln konsumieren.
Genießt die kleinen Dinge im Leben :-)

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